norwegische Sprache.

norwegische Sprache.
nọrwegische Sprache.
 
Die norwegische Sprache umfasst als Oberbegriff die beiden seit 1885 offiziell gleichberechtigten Landessprachen Norwegens, Bokmål (früher Riksmål) und Nynorsk (früher Landsmål). Beide Sprachen gehören, ebenso wie Dänisch und Schwedisch, zur nordgermanischen Sprachgruppe, unterscheiden sich aber insofern voneinander, als das Bokmål starke ostnordische Züge aufweist, während sich das Nynorsk erst im 19. Jahrhundert v. a. aus jüngeren Dialektstufen des ursprünglich in Norwegen gesprochenen Westnordischen (altnordische Sprache) entwickelte.
 
Schon am Ausgang der altnorwegischen Sprachperiode (etwa 1050-1350) waren durch die Pest von 1349/50 und ihre Folgen - die Vernichtung von etwa der Hälfte der Bevölkerung, starke Verluste insbesondere unter der Geistlichkeit, wodurch das von ihr betreute Schulwesen zum Erliegen kam, allgemeine Verarmung - entscheidende Voraussetzungen für die weitere politische, kulturelle und sprachliche Entwicklung des Landes gegeben. Das Mittelnorwegische (1350 bis um 1525), als Sprachnorm noch kaum gefestigt, unterlag schon frühzeitig fremdsprachlichem Einfluss vonseiten des Niederdeutschen (Hanse), des Schwedischen (Union 1319; Birgittenorden) und des Dänischen, das seit der Kalmarer Union von 1397 als Verwaltungssprache beider Reiche zunehmend an Bedeutung gewann. Der Prozess der allmählichen Verdrängung des Norwegischen setzte sich u. a. fort mit der dänischen Bibelübersetzung (1550) und Reformationsliteratur, der Übertragung der norwegischen Gesetze ins Dänische (1604), der Einführung des Dänischen als »Muttersprache« im Schulunterricht (1739) und der bevorzugten Besetzung wichtiger kirchlicher, juristischer und administrativer Stellungen mit Dänen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die norwegische Sprache als Schrift- und Umgangssprache der Gebildeten gänzlich erloschen und an ihre Stelle ein mehr oder minder reines Dänisch getreten, das allerdings mit norwegischer Lautung gesprochen wurde.
 
Die Wendung zur Zweisprachigkeit und damit der Beginn der Geschichte der modernen norwegischen Sprache erfolgte in der Zeit der Nationalromantik nach dem Ende der Union mit Dänemark (1814). Obwohl Norwegen erneut eine Union (mit Schweden, bis 1905) eingehen musste, wurden nationale Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zum Programm erhoben. Die Hinwendung zu Volkssprache (v. a. den Dialekten) und zur Volkspoesie waren dabei, wie in der gesamten europäischen Romantik, wichtige Mittel der Besinnung und Erneuerung. Eine Linie zielte dabei auf Erneuerung durch »Norwegisierung« des in Norwegen gesprochenen Dänisch (z. B. durch Wiederherstellung der im Dänischen lenisierten stimmlosen Explosive p, t, k: dänisch gribe, bryde, pige, norwegisch gripe, bryte, pike; Ersetzung der Pluralendung -e durch -er). Die entscheidenden Impulse hierzu gingen v. a. von H. A. Wergeland, P. Asbjørnsen, J. I. Moe und v. a. Knud Knudsen (* 1812, ✝ 1895) aus. Diese Riksmål genannte Form der norwegischen Sprache wurde von Dichtern des 19. Jahrhunderts wie H. Ibsen, B. Bjørnson, A. L. Kielland, J. Lie aufgegriffen. Auf der anderen Seite trat besonders I. Aasen entschieden für eine Erneuerung der norwegischen Sprache auf der Grundlage altertümlicher (noch formenreicher) Dialekte ein. Seine um die Mitte des 19. Jahrhunderts erschienenen Arbeiten, eine Grammatik und ein Wörterbuch, bilden wichtige Grundlagen des Landsmål, das nach seinem Willen als »Norsk Folkesprog« das Riksmål ersetzen sollte; um seine Pflege bemühten sich besonders A. O. Vinje und A. Garborg. Die staatliche Anerkennung als zweite Schriftsprache erfolgte 1885. Beide Richtungen (seit 1929 Bokmål und Nynorsk genannt) durch sprachliche und orthographische Reformen (1907, 1917, 1938) zu einer gemeinsamen Landessprache zu vereinigen (Samnorsk), schlugen fehl. Eine vom Parlament 1951 eingerichtete, paritätisch besetzte Kommission (Norsk språknemnd) hat die Aufgabe, die weitere Entwicklung fördernd und beratend mitzugestalten.
 
Nach sprachpolitischen Turbulenzen besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren, die unter Einfluss neuer linguistischen und soziologischen Modelle, v. a. im Zusammenhang mit dem Versuch einer politischen Instrumentalisierung des Nynorsk gegen das Bokmål als vermeintliche Sprache des »Establishments« standen, wird das Verhältnis beider Sprachformen weiterhin kontrovers diskutiert.
 
 
O. Breito: Nynorsk grammatikk (Oslo 1970);
 D. A. Seip: Norweg. Sprachgesch. (1971);
 O. Naes: Norsk grammatikk (Oslo 31972);
 P. Hallaråker: Norwegian (Bergen 1983);
 E. Haugen: Die skandinav. Sprachen (a. d. Engl., Neuausg. 1984);
 
Bokmålsordboka, hg. v. M. I. Landrø u. a. (Bergen 1986);
 Å.-B. u. R. Strandskogen: Practical Norwegian grammar (a. d. Norweg., Oslo 1986);
 
Vårt eget språk, hg. v. E. B. Johnsen, 3 Bde. (ebd. 1987).

Universal-Lexikon. 2012.

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